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Chungking 1906-1920 

  

 

 

 

 Chongqing (Tschung-Tching) 

 

Chongqing (frühere deutsche Bezeichnungen auch Chungking, die im nachfolgenden Text überwiegend verwendet wird oder Tschungking) liegt in einem Talkessel auf einer Halbinsel am Zusammenfluss vom Jangtsekiang (längster Fluss Chinas) und dem Jialing Jiang (Nebenfluss des Jangtsekiang). Milde und kurze Winter mit Temperaturen von   6-8 °C  sowie feucht-heiße, lange Sommer mit Temperaturen um die 40 °C prägen das Klima. Durch den häufig herrschenden  Nebel wird Chongqing auch als die „Nebelstadt“ bezeichnet.

 

Im Jahre 1879 zählte Chongqing 250.000 registrierte Einwohner, 1890 waren es 300.000 Einwohner und 1918 wuchs die Einwohnerzahl auf 437.000. Ohne die Bewohner des Vorortgürtels registrierte Chongqing 1936 bereits 528.000 Einwohner.

 

1891 entstand in Chongqing der erste inländische Handelshafen. Zunächst für den Handel zwischen China und Großbritannien genutzt, schlossen sich später weitere Länder wie z.B. Japan an.

 

Heute wird Chongqing auch als die Stadt der Wunder bezeichnet. Angewachsen auf ca. 4,3 Millionen Einwohner in der Stadt und rd. 31,3 Millionen Bewohner in der gesamten  Provinz Chongqing ist sie eine der vier regierungsunmittelbaren Städte und eines der Wirtschaftszentren am Oberlauf des Jangtsekiang. Die Provinz erstreckt sich auf 82.300 km² und ist im Vergleich so groß wie Österreich.

Als Verkehrsknotenpunkt verfügt Chongqing über 3 Bahnlinien, einen Überland-Busbahnhof, einem internationalen Flughafen und eine Anbindung an mehrere Autobahnen. Zusätzlich folgte mit dem Ausbau des Hafens und dem umstrittenen 3-Schluchten-Damm-Projekt die Erweiterung der Schiffbarkeit des Jangtsekiang.

 

Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelten sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in China somit auch in Chongqing stetig, von einem Aufstieg zu einer Stadt der Wunder sollte es aber noch ein weiter Weg sein. Vielmehr war Dr. Paul Assmy auf seiner Reise von Peking nach Birma und später in Chongqing mit der Armut und medizinischen Unterversorgung der chinesischen Bevölkerung konfrontiert.

1904 öffnete das Deutsche Konsulat in Chongqing.  Eine deutsche Poliklinik dort vorzuhalten war auch eine politische Entscheidung mit der die deutsche Kultur der chinesischen Bevölkerung näher gebracht werden sollte.

 

 In dem folgenden Text wird vorwiegend die Schreibweise Chungking verwendet.

 

 

 

1912 beschreibt Meyers Reisebücher (Weltreise, 1 Teil: Indien, China und Japan) Tschungking als eine Handelsmetropole der Provinz Szetschnan mit 610.000 Einwohnern, halbinselförmig gelegen am 1. Yangtse-Ufer (2.500 km über Shanghai) an der Einmündung des Kialingkiang auf einer 30 m hohen Felsplatte. Übernachtungen sind möglich in Gaststätten. Die Umgebung ist sehr malerisch. Im Süden am rechten Ufer liegt der Berg Tuschan.

Tschunking ist der Hauptflusshafen und –handelsplatz für das Rote Becken von Szetschuan, ein von schiffbaren Flüssen durchzogenes dicht besiedeltes Hügelland von 800-1000 m Durchschnittshöhe, dass sehr fruchtbar ist und günstiges Klima hat. Seine Hauptprodukte, die von Tschunking aus zur Ausfuhr kommen sind: Seide, Häute, Moschus, Rhabarber, Opium, Gallnüsse, Wolle, Borsten Ziegenfelle, Einfuhr: Baumwollgarn, Wollstoffe, etwa 1600 Dschunken verkehren jährlich in Tschungking.

 

Konsulate: Deutsches Konsulat mit dem Konsul Weiß, ferner ist Großbritannien, Frankreich, Japan und

                 Amerika vertreten.

Post : Kaiserliche chinesische Post und ein französisches Postamt.

 

Krankenhäuser: Deutsche Poliklinik ( unter einem Stabsarzt), englisches, französisches und amerikanisches Missionshospital (letztes mit Frauenabteilung). 

 

 

 

 

Blüte des Holzölbaumes im April (Chungking)

 

 

 

 

Holzölbaum mit Früchten im September (Chungking)

 

 

 

 

Blühendes Mohnfeld im Jahr 1908 in Chungking

 

 

 

 

In Felsen gearbeitete Darstellungen bei Chungking

 

Nach der Rückkehr von Dr. Paul Assmy aus Asien im April 1904 folgt zunächst ein Aufenthalt in Deutschland. In dieser Zeit konkretisieren sich seine Planungen erneut nach China zu reisen. Der Wunsch dort zu leben und zu arbeiten überwiegt so sehr, dass er sich von seiner Verlobten trennt, die ihn nicht dorthin begleiten möchte.


Die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung in Chungking sind zu dieser Zeit schwer. Wurmerkrankungen sind unter chinesischen Kindern sehr verbreitet. Die Kinder verrichten auf öffentlichen Straßen, Hauseingängen und Höfen ihr Geschäft. Da wiederum kleinere Kinder auf dem schmutzigen Grund umherkriechen, infizieren sie sich häufig. Obdachlose, die ohne Unterlagen im Winter und im Sommer auf Steinfliesen schlafen, leiden unter Atemwegserkrankungen. Zugige, dunkle und feuchte Häuser, die Sonnenstrahl und Frischluft ausschließen, ungereinigte Fußböden aus gestampften Lehm oder aus Brandfliesen, Rauchkerzen vor Ahnentafeln, Wasserpfeifen, hoher Konsum von chinesischen Pfeifentabak, japanische und amerikanische Zigaretten bieten den Nährboden für verschiedentliche Atemwegserkrankungen. Die Tuberkulose verbreitet sich auch durch das übliche Speien der Menschen, mit dem sie den Körper von giftigen Stoffen befreien wollen.

 

Aus den Aufzeichnungen von Dr. Paul Assmy, beginnend am 20.04.1906:

 

Chung‑King

 

Am 20.IV, nicht am 19.IV. (ich habe mich in der Abfahrt von Ichang um einen Tag versehen, das kann hier zu Lande vorkommen) traf ich hier ein. Natürlich bei strömenden Regen. Da keine Aussichten waren, am Abend noch irgendeine der vielen Zollformalitäten zu erledigen, so machte ich mich nur etwas „land­fein", ließ mich über den Fluss setzen und mietete dann eine Sänfte, um nach dem Konsulat zu gelangen. Den Oberboy und einen Soldaten nahm ich mit, damit sie wussten, wohin sie sich zu wenden hatten. Von der Großstadt in der Mitte Chinas bekam ich gleich ordentlich etwas zu sehen, soweit das bei der rasch ein­brechenden Dunkelheit möglich war, zu hören und zu riechen.

 

Denn da ich ziemlich in der östlichsten Stadtecke, am Schan­-tren‑menn, an der Einmündungsstelle des Kia‑ling-ho gelandet war und das Konsulat in der Westecke der Stadt, ziemlich auf dem höchsten Bergriegel gelegen ist, so musste ich die ganze Stadt durchqueren.

 

 

 

 

 

Ma-yang-tze, Passagierboot, Aufnahmen vom Kia-ling-ho

 

 

 

 

 

  She-menn (Steintor)

  

 

 

Im Kialing-ho 

 

 

 

 

Pagode in Chungking

 

 

 

 

Blick über die Dächer vom Gildenhaus auf Chungking

 

Chungking liegt an dem Berghang des Nordufers, dieser ist aber nicht etwa eine schräge, ebene Fläche, sondern besteht aus mehreren kleinen Trassen übereinander, sodass man eine Treppe nach der anderen hinauf und wieder hinab und wieder hinauf muss. Bei der Feuchtigkeit waren die Steine ziemlich glatt und für die Träger wohl kein einfaches Gehen.

Dieses Sänfte “reiten“ ist auch nicht besonders angenehm. Empfindliche Leute mögen so leichte Anwandlungen von Seekrankheit dabei bekommen. Außerdem geht es manchmal so steil bergauf bzw. bergab, dass man sich immer gefasst macht auf einen Fall. Der aber nicht kommt, da die Leute famos eingearbeitet sind.

Das Getriebe der Straßen ist geradezu betäubend. Um den Dreck kümmert sich natürlich keine Seele, da diese Erscheinungen hier zu häufig sind. Der Marsch zum Konsulat dauert ¾ Stunden.

Das deutsche Konsulat, ein europäisches, zweistöckiges Haus liegt, wie gesagt, ganz hoch über niederen Menschenleben auf dem Berg, zwischen dem englischen Konsulat und der Jesuitenschule. Hinten steht am Berg noch ein Tempel, dann kommt die Stadtmauer. Ich traf nur den zukünftigen Konsulatsverweser Dr. Nord an, Dr. Weiß, der in den nächsten Tagen Chungking verlässt, um auf Urlaub nach Deutschland zu gehen, machte Abschiedsbesuche. Meine Herren Chinesen schickte ich gleich fort, denn ich sollte die Nacht im Konsulat bleiben. Dr. Weiß kam bald an und wir besprachen gleich die Verhältnisse. Da hörte ich dann manches, was mir nicht angenehm war, hauptsächlich Klagen über Klima, gesell­schaftliche Verhältnisse etc.. Ich dachte mir mein Teil und sprach es auch aus, dass ich auf anderer Leute Urteil nicht allzu viel gäbe, da Stimmung, Gemütsanlage, Gesundheitszustand persönliche Neigungen und usw. usw. bei allen solchen Sachen die Objektivität unmöglich machen. Mein Wahlspruch ist: Go and see, wie Hosie [1] sagte.  Dr. Nord äußerte sich als bis dato noch nicht verantwortlicher Redakteur wenig. 

[1] Vermutlich gemeint ist: Sir Alexander Hosie

 

Beide waren aber einstimmig meiner Meinung, dass die Sache mit der Ärzteschule in Shanghai viel zu sehr auf die leichte Achsel bezüglich der Schwierigkeit der Durchführung genommen werde und andererseits der Einfluss und die Bedeutung der Angelegenheit weit überschätzt werden. Die Sache liegt folgendermaßen: Es besteht hier ein Unter­nehmen der Gentry, der Vertreter der besseren Stände von Chungking, der einer "Medizinschule", d.h., etwa 40 junge Leute sind als Zöglinge in Räumen des Arbeitsamtes Chuan‑Kung‑chü (einem Regierungsunternehmen) untergebracht und werden dort auf Privatkosten jener "Gentry" als chinesische Ärzte ausgebildet, die innere Medizin ist vollkommen in den Händen der Chinesen. Dagegen hat der Hauptunternehmer und Förderer der ganzen Sache, ein Mann namens Wei, ein sehr wohlhabender Kaufmann, der das meiste Geld, mithin auch den meisten Einfluss hat, als Freund und An­hänger europäischer Kultur es angeregt, dass äußere Medizin nach abendländischen Methoden gelehrt werden soll. Es werden ihm japanische Tendenzen nachgesagt. Aber durch ein günstiges Zusammentreffen konnte der Konsulatsverweser Dr. Weiß seinerzeit die Schulvorstände zu Verhandlungen betr. Anstellung eines deutschen Arztes an der Schule bewegen. Ein japanisches Sprachschulunternehmen klappte nämlich sehr eklatant zusammen.

Als sich nun der japanische Konsul Takumaru an die Schule mit dem Anerbieten wandte, einen japanischen Arzt zu besorgen, lehnte der Vorstand unter dem Vorgeben ab, es seien Verhandlungen mit den deutschen Konsulat schon so weit gediehen, dass es ihm nicht möglich sei, abzubrechen. Nun aber arbeitete der Vorstand einen Vertrag aus, in welchem immer nur von Pflichten des Arztes, niemals von Rechten desselben die Rede ist. Dies lehnte ich glatt ab und machte einen anderen Vertrag, der dem Vorstand, in Chinesisch übertragen, vorgelegt werden soll. Gehalt bekomme ich nicht, da die Schule keine Mittel hat, dagegen habe ich mir das Fu‑ma‑chien "Geld für die Sänfte (Pferd)" ausbedungen. Dazu noch Zusicherung der Besorgung von Lehrmitteln, Achtung seitens der Schüler etc., da Schwierigkeit besteht neben dem gänzlichen Mangel an Vorkenntnissen bei den Schülern und dem Mangel an Beherrschung des Chinesischen bei mir. Eine Reihe von Büchern, Modellen und Tafeln für den Unterricht mit chinesischen Bezeichnungen, die ich aus Hongkong, Shanghai und Hankow mitgebracht habe, müssen neben energischem Sprachstudium diesem Mangel abzuhelfen versuchen. Diese Schwierigkeiten sind allerdings fast unüberwindlich. Aber da ich mit der Einrichtung der Poliklinik sicher mehrere Wochen zu tun haben werde, und dabei wohl notwendig schon viel Chinesisch werde lernen müssen, so wird es mit Hilfe meines Herrn "Assistenten" dem englisch radebrechenden Shantung‑ Chinesen, den ich aus Shanghai mitgebracht habe, dann wohl gehen. Diese Geschichte wird sich wohl langsam einrenken. Aber die Wohnungs-und Poliklinikfragen ! Das Konsulat liegt am Westende der ganzen Stadt, sehr schön und gesund auf dem Sandsteinfelsen. Bewohnt wird es nur vom Konsulatsverweser Dr. Nord, Platz hätten wir beide in dem zweistöckigem Gebäude, welches früher von dem jetzt nach Chengtu gesandten französischem Arzt Dr. Erdinger u. Frau bewohnt war, in Hülle und Fülle. Aber eine Poliklinik einzurichten ist nicht möglich, außerdem würde hier herauf kein Patient kommen, wenn nach dem in der Nähe gelegenen franzö­sischem Hospital auch nur chinesische Christen in geringer Zahl kommen sollen. Die Poliklinik muss in einen belebten Stadt­teil. Ohne zwingende Gründe, wie ihn Familie gebildet haben würde, möchte ich auch meine ganze Einrichtung nicht ohne Aufsicht in der Chinesenstadt lassen. Nun ist Chungking aber sehr dicht bevölkert, Grund u. Boden sehr teuer und noch teurer und wertvoller werdend, so dass es sehr schwer fällt, größere Komplexe zu kaufen oder zu mieten. Selbst die Provinzialregierung, die doch sonst allmächtig zu sein pflegt, hat Grund und Boden für die Anlage einer Münze nicht in der Stadt erwerben können, sondern hat sich auf das jenseitige Flussufer zurückziehen müssen: Dazu kommt noch die Furcht vor den Europäern, die immer noch in den Chinesen spukt und die Unzuverlässigkeit, die den Szechuanesen unvorteilhaft auszeichnet. Dr. Weiß hatte ein Kung‑Kuan, ein Grundstück mit möbliertem Häuschen, das sehr passend war, ausfindig gemacht, Miete u. Pfandsumme festgesetzt und wartete nur darauf, dass ich mein Gutachten abgeben sollte, da erklärte der Besitzer plötzlich, er wolle selbst in das Haus einziehen! Das Hospital passte ihm nicht. Wir wendeten uns an den Tautai, aber dieser sagte, er könne nichts machen, der Mann erkläre, er müsse sein Haus selbst bewohnen! So sitzen wir vorläufig wieder einmal fest. Mehrere Gebäude haben wir schon wieder ausfindig gemacht und besichtigt, aber so gut wie das erste, passt keines. Und bevor nicht der Mietvertrag abgeschlossen und gestempelt ist, kann man sich hier auf nichts verlassen. Die ersten Tage hier waren recht lebhaft. Ich musste mich sofort den chinesischen Beamten vorstellen, bei den Konsuln und Kaufleuten und auf den Kriegsschiffen (3 englische Flußkanonenboote Woodlark, Woodcook u. Widgeon) Besuch machen und die Gegenbesuche erwarten. Das klingt einfach. Aber die Entfernungen sind zu unheimlich. Das Übersetzen über den Fluss nimmt eine lange Zeit in Anspruch und man treibt immer eine halbe Stunde weit ab bei dem jedesmaligen Übersetzen. Durch das ewige Durcheinander von Englisch, Französisch u. Chinesisch wird man dabei noch gänzlich "rammdösig"; dabei war heute der erste regenfreie Tag (27.IV.) Wenn nur erst die Poliklinikfrage entschieden wäre und ich meine Rechenliquidation fertig gemacht hätte!

 

14. Mai 1906

Endlich komme ich wieder einmal an das große Buch. Nach vielen Mühen sind wir endlich im Besitz eines Hauses. D.H., jetzt ist es schon beinahe fertig umgebaut. Als wir es ausfindig gemacht hatten, telegraphierte Dr. Nord sofort nach Shanghai, um vom Gen. Konsulat die Genehmigung einzuholen. Das war am 2.Mai 1906. Am 5. telegraphierte er dann den Abschluss des Mietsvertrages, da wir so lange nicht warten konnten. Bis heute ist eine Antwort nicht eingetroffen. Offenbar hat das Gen. Konsulat nach Berlin telegraphiert und dort lassen die sich Zeit oder sind wütend. Wie es werden soll, wissen wir nicht. Das Auswärtige Amt hat nämlich, trotz aller meiner Berichte, dass das Haus etc. notwendig sei, hier her einfach geschrieben: Zur Ermietung eines Hauses und zur Einrichtung und Betrieb einer Poliklinik stünden weitere, als die bereits gewährten Mittel (nämlich RM 4.000) nicht zur Verfügung. Sollten diese nicht ausreichen und die Poliklinik nicht im Konsulat untergebracht werden können, so solle so verfahren werden, wie in Peking! Wie das dort gemacht wird, konnte weder in Berlin, noch in Shanghai, noch hier irgendjemand sagen. Alle meine mündlichen Einwendungen in Berlin schlug man dort mit den Worten nieder: Geben sie nur erst hinaus, das Übrige findet sich dann schon von selbst. Nun wollen wir sehen. Die Konsulatskasse hier hat vorläufig, um die Sache erst einmal in Fluss zu bringen, die Sicherheitssumme (Ja‑Asu) von 300 Tls (ca. 900 RM) und die erste Monatsmiete (Fang‑tzien) von 21 Tls bezahlt, mir außerdem 200 $ Vorschuss für die Einrichtung ausgezahlt. An den Reichskanzler schrieb ich einen Bericht, in welchem ich ihm auseinandersetzte:

1. Die Lage des Konsulates macht einen erfolgreichen Betrieb unmöglich, da es hoch auf dem Berg am westlichsten Punkt der Stadt liegt, weil die Kranken erst über einige kleinere Bergrücken klettern und dann den steilsten Bergrücken erklimmen müssten, um zum Arzt zu gelangen. Das amerikanische und englische Hospital liegen in der Stadt.

2. Es sind keine Baulichkeiten auf dem Grundstück vorhanden. Gebaut kann nicht werden, da es nur gemietet ist. Außerdem kann man das schmutzige Poliklinik‑Publikum nicht in deutsche Amtsräume hinein lassen.

3. Haus muss sein, denn ohne Poliklinik keine Möglichkeit im Interesse des Deutschtums zu wirken. Hinweis auf frühere Berichte von mir und Velde sowie Krummacher [3] über diesen Punkt.

 

[3] Dr. Gustav Velde und Dr. Krummacher sind beide Gesandtschaftsärzte in Peking gewesen

 

4. Die früher gehegte Hoffnung, dass die private Medizinschule, an welcher ich über äußere Krankheiten unterrichten soll, einige Räume zur Verfügung stellen würde, erfüllt sich nicht. Die Schule hat kaum selbst Platz genug vom staatlichen Arbeitsamt zur Benutzung überlassen bekommen und außerdem ist die Lehrfrage jetzt auch nicht geregelt.

5. Wir konnten nicht länger warten, denn Franzosen und Amerikaner scheinen gegen die deutschen Pläne Stimmung zu machen.

6. Außer Sicherheit und Miete sind 25 $ monatlich für den dolmetschenden Gehilfen und 10 $ für einen Hausdiener notwendig.

7. Für den Ausbau und die Einrichtungsgegenstände sind 400 Tls sicher notwendig. Ich schrieb, dass ohne ein Haus, ohne Personal und ohne Mittel für den Betrieb eine erfolgreiche ärztliche Tätigkeit auch in China unmöglich sei.

Aus eigenen Mitteln, oder von meinem Gehalt irgendetwas zu diesen Ausgaben beizutragen bin ich naturgemäß nicht in der Lage.

Dieser Bericht ist am 6. Mai über Shanghai nach Berlin abgegangen. Unterdessen habe ich natürlich feste angefangen, das Haus einzurichten. Wer nicht Chinesen näher kennt, der ahnt nicht, was da alles gemacht werden muss. Der Chinese schließt beinahe systematisch Lust und Luft von seinen Räumen aus. Da müssen dann Fensteröffnungen durch Mauern geschlagen, Fenster in das Loch eingefügt werden, Luftschächte gebaut und Abflussröhren für das Regenwasser aus Bambus oder Tonröhren angelegt werden. Da das Haus 30 Minuten mit der Sänfte vom Konsulat entfernt liegt und ich nicht täglich zweimal durch die Stadt will, was in der Sommerhitze keine angenehme Geschichte ist, so habe ich mich entschlossen, im Hospital zu wohnen. Es hat Vorteile und Nachteile. Der Nachteil ist die Lage in der Stadt, wo es sicher heißer ist, als auf dem Konsulatsberg. Der Vorteil ist, dass ich stets meine Sachen zur Hand habe, dass ich mit dem ewigen Hin und Her keine Zeit und in der Hitze keine Nervenkraft einbüße; dann, dass ich stets mit Chinesen zu tun habe und so die Sprache rascher lerne und dass ich die teure Ausstattung nicht ohne europäischen Schutz den hier häufigen Einbrüchen aussetze. Wenn es mal zu heiß wird, kann ich stets nachher ins Konsulat übersiedeln.

Ich habe mir Möbel, d.h., nur das Notwendigste hier bestellt, das meiste werde ich chinesisch nehmen. Eine eiserne Tropenbettstelle habe ich von Vizekonsul Müller gekauft und von Ichang in der Dschunke schon benutzt. In dem Teil des Hauses für das Hospital liegt:

1. Ein Raum zur Aufnahme und zum Einschreiben der Patienten.

2. Ein Raum für den als Gehilfe fungierenden Chinesen.

3. Ein Krankenzimmer für 4 Patienten.

4. Der eigentliche poliklinische Saal. Darin ein Stand mit

den Medizinen und ein Dispensiertisch. Ferner ein Untersuchungsbett und Verbandstisch nebst Stühlen.

5. Der Operationsraum. Ich habe durch Ausbrechen eines Fensters von ca. 3 m Höhe möglichst viel Luft geschafft, das ganze Zimmer ausgeweißt und die Ecken mit Zement ausstreichen und abrunden lassen. Auch einen direkten Ausguss habe ich angelegt. Einen Operationstisch hat ein Chinese für 13 $ aus festen Eichenholz angefertigt. Ich glaube, ich werde hier ganz gut arbeiten können.

6. Kleiner Raum für Verbandsachen, in einer Ecke in einem Abzug (wie in chemischen Laboratorien, ein chinesischer Ofen für den Sterilisationsapparat.

7. Durch die ganze Anlage führt ein etwa l m 50 cm breiter Gang, in dem Bänke für Patienten sind. An seinem Ende, neben dem Sterilisierraum liegt

8. ein kleiner, zum Badezimmer bestimmter Raum und hinter

diesem ein kleiner auszementierter Raum

9. Abort für Kranke, mit Abfuhr nach unten in die Keller, d.h., die Türen dieses sog. Kellers, welche nach außen führen, liegen zu ebener Erde, da das Haus an eine Felsabhang liegt. Den Fußboden aller Räume habe ich in den Kellern durch hölzerne Streben absteifen lassen. Die Fenster lassen sich um eine waagerechte Achse mittels Zugschnüre öffnen und schließen. Überall werden Glasscheiben eingesetzt, was hier allerdings erhebliche Kosten verursacht. Meine Wohnräume liegen neben der Poliklinik. Der Eingang wird gebildet durch ein Tor mit riesig massiven Holzflügeltüren. Man steigt zwischen zwei schwarz lackierten Bretterwänden in einen etwa 7 m im Quadrat messenden mit Sandsteinquadern belegten Lichthof hinein. Rechts und links habe ich in die Bretterwände Türen einbrechen lassen zu den hier gelegenen Räumen. Diese waren so recht "chinesisch". Fast völlig licht- und luftfrei. Jetzt sorgt ein großes Fenster nach der Straße zu für Licht und eine Gegenöffnung für Durchzug. In das links vom Eingang  gelegene Zimmer sollen im Notfall 6 Kranke kommen, ich habe vom Gang der Poliklinik her eine Tür durchbrechen lassen. Das Zimmer kann durch Schließen einer kleinen Tür völlig zur Poliklinik geschlagen werden. Das rechts vom Eingang befindliche Gelass ist für chinesische Dienerschaft bestimmt. Die beiden Seiten des Lichtschachtes nehmen zwei Räume ein, die jeder etwa 16 qm Bodenfläche haben. Den linken, neben dem Reservekrankenraum gelegenen habe ich als Laboratorium bestimmt. In dem rechts gelegenen will ich zwei bessere Betten aufstellen für etwa sich einstellende Kranke besserer Stände. Dem Eingang gegenüber liegt ein großer Raum, der ursprünglich vorn offen war. Ich habe ihn vorn geschlossen und eine Bambusdecke angebracht. Er soll mein Wohn‑ und Arbeitszimmer sein. Zu beiden Seiten desselben liegen je ein Raum, Schlaf‑ u. Esszimmer. Hinter dem Schlafzimmer nimmt ein 4 qm großer Raum meine Badewanne auf. Für Licht und Luft habe ich möglichst gesorgt. An der rechten Seite liegen hinter den größeren Räumen noch schmale, langgestreckte, früher völlig dunkle und luftlose, bis unter das Dach offene Räume. In das Dach eingesetzte Scheiben und verschließbare Löcher in den Wänden haben es ermöglicht, hier Küche und Vorratskammern einzurichten. In einem ähnlichen Raum auf der linken Seite liegt eine Wasserkochküche für die Poliklinik. Die Abfuhr geschieht nach "Tonnensystem". Für das Regenwasser ist gut gesorgt. Das Haus hat Dachregenfänger, die Röhren waren früher aus Bambus; ich habe Tonröhren eingesetzt. Vom Hof führt ein Senkloch in unterirdische Röhrensysteme, welche letzthin bei einem schweren Platzregen vorzüglich arbeiteten. Im Hof befindet sich ein Brunnen mit Wasser, das nur zu Reinigungszwecken benutzt werden kann. Trink‑ und Kochwasser muss vom Fluss geholt werden, was sehr lästig ist.

Wird die Sonne lästig, so kommt über den ganzen Hof in angemessener Höhe ein Mattendach mit Vorrichtung zum Auf‑ u. Zurollen, wie es in China überall gebräuchlich ist. Leider hat keiner meiner Räume einen Holzfußboden. Matten und Decken werden für die Sommermonate genügenden Schutz gegen kalte Füße geben. Im Winter werde ich wohl trotz der Kosten Holzfußböden einziehen lassen müssen. Dann muss ich auch Öfen haben. Die Transportkosten von Shanghai hierauf sind unheimlich.

 

17. Mai 1906

Heute haben wir noch einem chinesischen "Diener" in der Ärzteschule im Chuan-Kung‑chü (Arbeitsamt) den Anstellungskontrakt unterzeichnet. Eigentlich ist es eine Farce, denn die Schule verpflichtet sich nur dazu, mir Fa‑ma‑chen, d.h. Sänftengeld zu geben. Ich erhalte nichts, aber habe mir wenigstens das Recht vorbehalten, gegen die Schüler einige Autorität geltend machen zu können; Lehrmittel besorgt die Schule. Die ganze Sache hat an und für sich herzlich geringe Aussichten, aber man kann nicht wissen, was daraus sich entwickelt. Wenn China auf dem betretenen Weg weiter schreiten will, so werden bald Lehranstalten auch für Medizin eingerichtet werden. Für fast alle anderen Disziplinen kann China Lehrer aus Japan beziehen, Ärzte nicht. Wie ein japanischer Arzt, Dr. Shiga, der Entdecker eines der Ruhrmikroben, in einem Aufsatz im "Ostasiatischer Lloyd" ausgeführt hat, fehlt den Japaner die Gabe, wissenschaftlich zu arbeiten, er ist ein Handwerker. Außerdem braucht Japan selbst noch für Jahre alle seine ärztlichen Kräfte. Wer zu dieser Zeit dann neben einigen ärztlichen Kenntnissen, besonders äußere Heilkunde, über Kenntnisse der chinesischen Sprache, besonders der speziell medizinischen Fachausdrücke verfügt, der kann, glaube ich, etwas erreichen. Das Reich strebt ja sehr danach, Deutsche in chinesische Staatsstellen hinein zu bringen. Ich habe mich also mit Macht auf chinesisch gestürzt, nicht nur sprechen muss ich lernen, sondern vor allen auch Lesen! Ich habe chinesische Übersetzungen von medizinischen Lehrbüchern geeignet für den Anfang mitgenommen. Ich muss mich nun für jede Unterrichtsstunde vorbereiten und auch den als Dolmetscher fungierenden Chinesen einpauken. Daher habe ich mit dem Schulvorstand fürs Erste nur 2 Stunden wöchentlich verabredet. Ich soll nur "äußere" Krankheiten: Wai‑Küa lehren, in innerer Medizin trauen sie sich selbst viel mehr zu. Aber an meinen Stunden sollen auch die chinesischen Lehrkräfte teilnehmen, wohl um auch die ausländische Fa‑tze oder Methode kennen zu lernen. Da die chinesischen Zeichner recht tüchtig sind, will ich mir nach den Abbildungen in meinen Lehrbüchern Wandtafeln zeichnen lassen. Der chinesische Lehrer muss dann alle Namen chinesisch groß eintragen. Über den Text einigen wir uns und so wird halt als Anschauungsunterricht die Sache wohl gehen. Um das Interesse der Schüler wach zu halten, will ich ihnen einige mikroskopische Sachen zeigen: Blut von Menschen und Tieren, Muskelfasern etc.. Leider habe ich gar keine Musterpräparate mit, da ich auf solche Tätigkeit nicht vorbereitet war. So rächt sich jetzt die Geheimniskrämerei des Auswärtigen Amtes. Tafeln und Präparate hätten in Deutschland sicher weniger Geld und Arbeit gekostet als hier.

 

2. Juni 1906

Arbeit,Arbeit und Ärger, nicht nur so "kleinen Hofjungenärger". Die Poliklinik kommt nicht in Ordnung. Zuerst ging alles sehr flott, solange die Sache in großen Zügen betrieben wurde. Jetzt ist es anders, wo die "Kleinmalerei" begonnen hat. Alle die 100 Kleinigkeiten besorgen, welche für einen ärztlichen Betrieb notwendig sind und zwar jedes Stück den Handwerkern erklären, die Ausführung überwachen und Irrtümer richtig stellen. Hier scheint das Volk auch ganz besonders dumm und außerdem widerhaarig zu sein. Den Begriff Zeit kennt der Chinese ja überhaupt nicht. Aber hier heißt es stets, wenn ich frage, wann bringst du dies oder jenes, wann wirst du das machen? Morgen, morgen! Morgen, heißt es natürlich wieder:  Morgen! Dann ereignen sich auch niedliche kleine Geschichtchen,  welche ein Streiflicht auf die den Chinesen ja sehr geläufigen Gilden und "Ringe" werfen. Ich hatte mit einem Glashändler verhandelt wegen meiner Fensterscheiben. Er forderte einen unverschämten Preis für das Pfund Glas (alles geht ja hier nach Gewicht!) und ich ließ einen anderen kommen. Mit diesem einigte ich mich und er fing an, Scheiben einzusetzen. Am Nachmittag des nächsten Tages fand ich den Mann nicht bei der Arbeit und er­fuhr von meinem Gehilfen folgendes: Am Vormittag sei der erste Glaser plötzlich mit 4 Leuten erschienen, sie hätten mit dem arbeitenden Glasmann einen großen Zank gehabt und ihm vorge­worfen, er habe sich gegen die Gildengesetze vergangen und dann hätten sie ihn mitgenommen. Ich schickte (Teil der Seite fehlt) erfuhr nun, dass sie ihn nachdem Ba‑hsien‑yot gebracht hatten und er dort einsperrt sei. Auf meine Vorstellungen schrieb Dr. Nord sofort dem Ba‑hsien (dem Beamten), er solle den Mann entlassen, er sei in deutschen Diensten. Am Morgen des nächsten Tages kein Glaser da. Ein Brief vom Ba‑hsien erklärt: Der Mann würde verprügelt werden, er habe Gildenbestimmungen überschritten.

Die Glashändler hätte einen Ring gebildet und keiner dürfte Glas auf andere Weise kaufen und zu billigerem Preis als die Glasgilde! Nord schrieb ihm wieder, dass sei uns ganz gleichgültig, der Mann sei von uns angestellt, das Herausholen sei Hausfriedensbruch und gegen die Verträge; Außerdem sei die ganze Sache erlogen, offenbar zu dem Zweck, um Geld zu erpressen und dem Bau Schwierigkeiten zu machen. Wenn bis zum Abend der Mann nicht frei sei, würde Beschwerde an den Tautai und eventuell nach Peking erfolgen. Innerhalb von 2 Stunden war der Glaser da und der Ba-hsien entschuldigte sich mächtig, er habe den Sachverhalt nicht gekannt. Nord ließ sich vom Polizeipräsidenten zwei Polizisten stellen, welche im Hospital wohnen und niemand hineinlassen.

 

Man muss wie ein Schießhund auf alles aufpassen. Z.B. erscheint der Anstreicher und will Geld. Das war vor etwa 10 Tage. Ich gehe umher und sehe nach, was er alles gemacht hat. Natürlich überall freigelassene Stellen, Fuscharbeit, keine Kante richtig ausgemalt, überall fehlt es. Er ist heute noch nicht fertigt, immer kommt er und erklärt: Ta jeun, szien-trai chan la: Großer Herr, jetzt ist alles fertig. Der Ta jeun sieht aber wieder nach und findet überall wieder Man-ping : Fehler ! Also wieder pinseln. So geht es mit den Tischlern, mit Maurern (undichtes Dach), mit allen Kerlen.

Und die furchtbare Zeitvergeudung bei Abschlüssen für eine Arbeit. Handeln ? = Shang-liang, dass ist das Hauptvergnügen für die Chinesen. Hier sind sie blödsinnig. Einer fordert für die Mattenverkleidung der Decken und einiger Zimmer 14.000 Käsch! Er war nicht von seiner Forderung abzubringen: Nach fünftägiger Verhandlung mit allen möglichen „Häusern“ der Branche bekam ich die Sachen für 6.000 Käsch gemacht. Ein Chinese hätte noch eine Woche weiter geschachert und vielleicht noch 1.000 Käsch abgehandelt. Aber wir Europäer haben auch dazu keine Zeit! So geht es uns mit allen Sachen hier. Wer 4 Wochen Zeit hat, um eine Stickerei, ein Stück Porzellan zu handeln, der bekommt es schließlich billig.

 

Was nicht alles zu einem Hospital, auch hier draußen gehört! Draußen ein prangendes Schild: Da-dö. Pu-dohi-J-yüen

(Groß- Deutsch-Allgemein-helfen-Heil-Anstalt)

(Das französische Hospital heißt: Jenn‑ai‑tang = "Halle der Wohltätigkeit" oder "Wohltätigkeitshalle"‑ Das amerikanische: Kuan‑ jem‑J‑juan = "Heilanstalt zur Ausübung allgemeiner Wohltätigkeit". Das englische: Jenn‑dchi‑J‑Jüon = "Heilanstalt für Wohltun und Hilfe".

Daneben eine große Laterne mit derselben Inschrift, Aufnahmetäfelchen mit Nummern, damit keiner sich vordrängt. Spucknäpfe, Badewanne, Apothekentisch und Regal für die Medikamente (Seit fast drei Wochen arbeitet der Tischler daran). Es ist so schwer gearbeitet, als sollte es bombensicher sein. Die Kerle sind so furchtbar obstinat, wenn sie etwas arbeiten sollen, was aus ihrer Routine heraus geht: Verbandtisch, Untersuchungsbett, Verbandzimmer, Operationstisch, Bambustischchen für Instrumentenschalen und Desinfizientien, Waschtisch, Ausguss, Instrumentenschrank, Abzug mit Sterilisierofen, Verbandmittelschrank, Krankenbetten. (Ein Mann macht das Untergestell, ein anderer den Rahmen mit Schnüren, ein Dritter die Bambusmatten, ein Geschäft besorgt die Watteeinlage, ein zweites blaues Tuch zum Beziehen und verschiedene alte Damen nähen die Bezüge: großartige aber für den ungeduldigen Arzt etwas beschwerliche und umständliche Arbeitsteilung, denn mit jedem muss erst Schang-liang gemacht werden!) Wasserkochküche mit eisernen Kesseln, tönernen Wasserbehältern und Ausguss, Dunkelkammer, Laboratorium mit Tischen und Regalen, Aborte. Dann Behälter für alle Apothekensachen, sehr hübsche und billige Tontöpfe mit eingelassenen Deckeln. Alles kommt allmählich zusammen, kostet aber Geld, Zeit und nicht zum wenigsten Geduld und infolgedessen Nerven, denn es ist wirklich bisweilen, um aus der Haut zu fahren. Dazu kommt die Sprachschwierigkeit. Selbst der Gehilfe aus Shantung versteht die hiesigen Ausdrücke nicht. Morgens erscheint ein chinesischer Zeichner. Er muss anatomische Wandtafeln zeichnen, nach den Abbildungen aus dem Heirmann, zum Unterrichten der Medizinschule. Er zeichnet recht gut, täglich 3 Stunden, wofür er monatlich 10 $ bekommt und das Papier und Zeichenmaterial. Die Schule fängt erst an, wenn das Hospital fertig ist. Ich arbeite mit meinem chinesischen Lehrer und mit dem schon recht gut chinesisch sprechenden "Sekretär" des Konsulats, einem ehemaligen Theologen (kathol.) Fromme jeden Morgen an einem chinesischen "Kursus der gröberen Anatomie", vorläufig Knochen und Muskeln. Es ist dies außerordentlich schwierig. Die Figuren mit den chinesischen Fachausdrücken sind da, chinesischer Text auch. Aber wie erklärt ein Chinese! Da stehen 2 Zeichen, das eine heißt meinetwegen jau, dass andere hsing. Was heißt das, was bedeutet das? Fragen wir. Antwort: Jenes jau ist dieses jau! Dazu einige mystische Handbewegungen. Wenn wir etwas erklären, umschreiben wir: Das ist ein Gegenstand aus Holz, oder so ähnlich, welcher dazu oder dazu gebraucht wird. Der Chinese aber kann das nicht, er kennt keinen Relativsatz, er kann sich nicht in die Lage eines Menschen versetzen, der nicht weiß, was "jau' ist. Schließlich muss das Zeichen im großen Lexikon von Siler gesucht werden, was unendlich mühsam ist. Oder mit Kombinationstalent kommt mir oft ein glücklicher Gedanke und durch Vergleich mit anderen Wendungen, in denen "jau' in anderer Verbindung vorkommt, wird die Bedeutung festgelegt. Jetzt geht es schon beträchtlich schneller. Das liegt aber an uns. Wir haben den "Kniff" jetzt besser heraus. Der Herr Literat steht noch immer auf dem Standpunkt: Jau ist jau. Er beginnt immer sehr vertrauenerweckend mit: Bi‑fang, d.h. zum Beispiel und schließt, überzeugt, dass wir ihn nun verstanden haben müssen mit: Sche bu sche. Ist es so, oder ist es nicht so? Aber dazwischen steht unweigerlich: Jau ist jau. Trotz alledem wird es gehen: Der Anschauungsunterricht ist der Beste. Auch Tierknochen müssen helfen, denn menschliche Präparate sind nicht zu erhalten. Es soll selbst außerordentlich gefährlich sein, Skelette oder Präparate von Körperteilen in Spiritus im Hause zu haben. Es bilden sich sofort Legenden("jau‑jenn") im Volke über ermordete Menschen, Kinderaugen als Medizin usw..

Das Schreiben und Lesen ist ungeheuer mühsam. Ich kann die Zeichen mechanisch nicht erlernen, wie die Chinesen es mit ihren Kindern machen. Ich muss alle einfachen Zeichen zuerst lernen, und dann mir für die zusammengesetzten klarmachen, wie aus der Bedeutung mehrerer einfacher Zeichen die komplizierte ergibt. Es bleibt aber doch eine fürchterliche, und leider wenig aussichtsreiche Arbeit. Denn wenn man sich das Silersche Lexikon mit seinen 13.000 Zeichen ansieht, dann wird einem schwarz vor den Augen und man hat so ein Gefühl von "Unendlichkeit und Ewigkeit".

Das Wetter war alle die Wochen wundervoll. Tagsüber herrschte allerdings bisweilen schon eine ganz blöde Hitze. Aber auf dem Konsulatsberg ist immer schöner Luftzug. Abends kühlt es sich gut ab. Das Insektenleben ist noch nicht sehr weit, es soll auch überhaupt niemals so schlimm hier werden, wie in Peking. Nur fliegende rote Ameisen sind in Unmengen zeitweise vorhanden. Abends auf der Veranda ist es fein hier, tief unten rauscht der Yangtse, eine Felsinsel liegt dort, das Wasser steigt immer gerade soweit, dass sich mächtige Strudel dort bilden, deren Rauschen bis herauf dringt. Meist ist klarer Himmel und bei Mondschein bildet die Stadt mit dem silberglänzenden breiten Strom, umgürtet von hohen Bergen einen feierlich schönen Anblick. Bisweilen hallen von dem dicht oberhalb des Konsulates gelegenen Tempel der "5 Glück Tempel Wu‑Fu‑Gung feierliche Gongtöne und tiefe Trompetenstöße, zuweilen aus der Stadt aus einem Theater Fistelgesang und chinesische Instrumentalmusik. Sonst tiefste Stille überall. Geregnet hat mehrfach heftig, aber meist nachts. Nur einmal, als ich gerade bei Herrn Wei, dem Schulunternehmer Gegenbesuch machte ging ein wahrer Wolkenbruch nieder. Ich war froh, dass ich in meiner schönen blauen Staatssänfte saß und nicht in dem kleinen Fluss, der die Straße bedeckte und allen Schmutz und Unrat den Berg hinab in den Fluss spülte, herumzuwaten brauchte. Tennis ist auch glücklich im Gange. Und wie bequem. Neben unserem ist das englische Konsulat und das hat natürlich einen Tennisplatz und zwar aus dem Sandsteinfelsen herausgehauen. Der englische Konsul, ist kein großer Held im Tennis, bis jetzt habe ich die Herren, die mit mir gespielt haben, der englische Konsul, einer der englischen Kriegsschiffkommandanten und ein Franzose und ein Norweger vom Zoll, ordentlich verprügelt. Keiner konnte ein Bein auf die Erde bringen.

 

Lageplan der Klinik und ausführliche Beschreibung der Räumlichkeiten nach Fertigstellung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erhalten sind im Archiv des Auswärtigen Amtes aus den ersten Jahren der Poliklinik die Berichte von Dr. Assmy an das Auswärtige Amt. Den Bericht für das Jahr 1917 bis 1919 übernimmt der Sanitäts-Vizefeldwebel Paul Schuchardt. 

 

Die deutsche Poliklinik in Chungking eröffnet am 01.07.1906 unter der Leitung von Dr. Paul Assmy und hat im ersten Berichtsjahr 4287 Behandlungszugänge. In den Hochzeiten kommen an einem Tag bis zu 70 Patienten. An den regenreichen Tagen erscheinen lediglich 20-30 Patienten, was Dr. Assmy auf die Tatsache zurückführt, dass die arme Bevölkerung ihre einzige Kleidung bereits am Leibe trägt und diese vor Nässe schützen muss.

Um dem hohen Zulauf gerecht zu werden, richtet man zu den bereits vorhandenen Krankenzimmern mit jeweils 5 Betten, zwei weitere Krankenzimmer mit 2 und 3 Betten ein. Auch ein zusätzlicher Krankenwärter und ein dritter Apothekergehilfe werden eingestellt.

Nach der Aufnahme baden die Patienten und erhalten frische Kleidung. Die Verpflegung der Patienten mit äußeren Leiden erfolgt über die Klinik und besteht aus 3 täglichen Mahlzeiten mit Reis, Gemüse sowie dreimal in der Woche Fleisch. Für Patienten, die einer besonderen Kost bedürfen und die Patienten der I. Klasse, bereitet der Koch von Dr. Assmy die Mahlzeiten zu. Sie erhalten drei tägliche Mahlzeiten mit Reis, Fleisch und Gemüse.

Für die Verpflegung zahlt die I. Klasse  100 und die II. Klasse 66,6 Käsch im Monat. Zur Deckung der Kosten für Patienten, die nicht bezahlen können, stehen Spendengelder aus Sammlungen der Konsulate in Chungking und Chengtu zur Verfügung. Es soll somit auch die Krankenversorgung der armen Bevölkerung gesichert werden.

Das Trink- und Kochwasser wird dem Jangtsekiang und dem Kialing-ho (Jialing Jiang) entnommen und von Wasserträgern in die Häuser gebracht. Das Wasser wird von der Bevölkerung meist gekocht verwendet und ist dann nach Meinung von Dr. Assmy keine große Ansteckungsquelle. Das Brunnenwasser in Chungking ist verunreinigt und kann nur für grobe Reinigungen verwendet werden.

 

 

 

 

 

 

Chungking: Kuli mit leeren Wasserkübeln 

 

Die Klinik öffnet um 8.00 Uhr und bis 11.00 Uhr werden die Einlassnummern verteilt.  Nach 11.00 Uhr und am Nachmittag erfolgt die Behandlung von Schwerkranken, versuchten Selbstmorden und Unglücksfällen.

Erschwert werden die Operationen in den Nachmittagsstunden durch die herrschende Gluthitze im OP-Raum, in dem die Fensterseite zum Westen hin liegt.  Die Holzwände und die Papierdecke können nicht mit Wasser gründlich gereinigt werden und werden daher vor größeren Operationen mit Kalk getüncht.

Der Mangel an finanziellen Mitteln und auch an geeigneten Materialien macht die Arbeit beschwerlich.  Für die benötigten Binden findet sich ein chinesischer Leinen, der nach einer Erprobung für verwendbar befunden wird. Das für die Arzneimittelherstellung teilweise verwendete destillierte Wasser bezieht man von den englischen Kanonenbootärzten. Zusätzlich nimmt die Unterweisung  des chinesischen Personals in die Arzneimittelkunde und in die Narkosetechniken viel Zeit in Anspruch. In seinem ersten Jahresbericht erfreut sich Dr. Assmy der hohen Patientenzahlen, spricht aber auch kritisch die Mängel der Klinikeinrichtung und der Personalausstattung mit Blick auf das wesentlich besser ausgestattete amerikanische Hospital an. Frauen, bei denen eine Genitaluntersuchung nötig ist, verweist er an das amerikanische Frauenhospital. Die Syphilis ist eine weitverbreitete Krankheit unter Ehefrauen und Prostituierten.

 

 

 

 

 

Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes

 

Im Berichtsjahr 1907/1908 verzeichnet die Klinik mit 2072 Patienten und 8000 Konsultationen einen geringeren Zulauf als im ersten Jahr. Geschaffen werden aber getrennte Wartezimmer für Männer und Frauen und Bade- und Abortanlagen.

2318 Patienten konsultieren im Berichtsjahr vom 01.07.1908 bis 31.07.1909 die Poliklinik, 205 chirurgische Eingriffe finden statt.

Dr. Paul Assmy schafft sich ein Pony an, damit er zügig (bei Vergiftungen z.B.) bei den Patienten sein und die oft weit voneinander liegenden Plätze erreichen kann.

 

Behindert wird die Arbeit in der Klinik durch die fehlende Arzneimittellieferung für das Jahr 1908, die wegen eines Schiffsbruchs erst im Januar 1909 eintrifft. Durch den bis zur Anlieferung anhaltende Mangel an Arznei- und Verbandsmittel kann die im Berichtsjahr 1906/1907 abgehaltene tägliche Sprechstunde zunächst  nicht wieder eingeführt werden. Erst im Februar 1909 gelingt es die täglichen Sprechzeiten wieder anzubieten.

Dr. Assmy stellt fest, dass persönliche Gründe das Steigen und Fallen der Patientenzahlen beeinflusst. So erfolgt das Aufsuchen eines Arztes oft erst, wenn der Patient nichts anderes zu tun hat, wenn es nicht regnet oder zu heiß ist. Ausnahmen sind  lebensbedrohende Umstände, es sei denn die Verwandtschaft ist durch ein anstehendes Geschäft gehindert, die Patienten zügig in die Klinik zu bringen. Auch sinken stets für die Dauer des Chinesischen Neujahresfest (es fällt auf den Neumond zwischen dem 21. Januar und 21.Februar und dauert 15 Tage an) die Patientenzahlen.

Die vorhandenen Behandlungsräume reichen für den Betrieb der Klinik nicht aus. Dr. Assmy räumt seine Wohnung im ersten Halbjahr 1909, denn aus Kostengründen kommt eine neue Klinik nicht in Frage. Das bisherige Wohnzimmer wird zum aseptischen Operationssaal umgebaut. Die Holzwände ersetzt ein chinesisches Kastenmauerwerk, die Wände bekommen einen Anstrich mit Ölfarbe, der Fußboden wird gefliest und die Nord-Westseite sowie die Süd-Ostseite aus Glas und Stein neu errichtet.  Auch ein neuer OP- und Instrumententisch und ein Wandschrank finden ihren Platz.

Die Kosten des Umbaus können durch Spenden gedeckt werden. Ursprünglich sollte auf einem Grundstück von Dr. Assmy  in der kühleren Berggegend ein Reconvalescentenheim gebaut und unterhalten werden, da das sommerliche Klima im Tal vielen Heilungsprozessen wenig zuträglich ist. Die Erweiterung der bestehenden Klinik ist jedoch notwendiger, so dass der geplante Bau des Heimes aus finanziellen Gründen zurückgestellt werden muss.

Dr. Assmy beschreibt die Chinesen als ein ruhiges, wenig zu Gewalttaten neigendes Volk, deren seltene Tätlichkeiten untereinander eher auf das Hin- und Herzerren der Zöpfe beschränkt ist. In schlimmeren Fällen kommt es zum Bewerfen mit der Teetasse, dem Abbeißen von Fingergliedern und einem Ohr. Selbstverstümmelungen wie das Abtrennen eines Fingers treten häufiger auf. In einem dieser Fälle bestand der Verdacht des Diebstahls, von dem sich der Junge befreien will. In einem anderen Fall hackt sich ein Junge den einen Finger ganz und zwei teilweise ab, um seinen Vater in Verlegenheit zu bringen, von dem er sich ungerecht behandelt fühlte.

 

Die folgende Übersicht zeigt die Vielfalt der behandelten Krankheiten und verdeutlicht, dass Dr. Paul Assmy ein „Arzt für alles“ war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes

 

Im Berichtsjahr vom 01.07.1909 bis 30.06.1910 werden 2042 Personen in der Poliklinik behandelt.  Ein geplanter viermonatiger Urlaub von Dr. Assmy, den er Mitte September 1909 antritt und Mitte Oktober 1909 wieder abbrechen muss als auch seine Erkrankung an einer Influenza mit nachfolgender Lungenentzündung im März 1910 führen zu sinkenden Zahlen. In der Zeit seiner Erkrankung und der Erholungszeit in Japan übernimmt zeitweise  der  Marinestabsarzt Dr. Falkenbach (Arzt auf der S.M.S. Vaterland) die Vertretung  bis zum 28.04.1910. Danach verlässt die S.M.S Vaterland  Chungking. Aus finanziellen Gründen  befürwortet das Kaiserliche Generalkonsulat Shanghai keinen weiteren Vertreter und so ruht der Betrieb der Poliklinik im Mai und Juni des Jahres 1910 vollständig. 

Die Einwohner Chungkings sind im Frühjahr 1910 auch von der Pockenepidemie betroffen. Ein im Krankenhaus bereits seit längerer Zeit befindlicher junger Patient erkrankt an den echten Pocken, kann jedoch geheilt werden. Glücklicherweise bleiben Personal und die weiteren Patienten von einer Ansteckung verschont. Behandelt werden auch u.a. Fälle mit gutartiger Malaria. Seine Erfahrungen mit unterschiedlichen Behandlungsmethoden wie der Grossich-Koenig`sche Methode zur Desinfektion der Haut mit Jodtinktur, die Verwendung von Michel`schen Klammern zur Vereinigung aller nicht spannenden Wundränder erwähnt Dr. Paul Assmy ausführlich.

Interessante Einzelfälle schildert  Dr. Assmy in seinen Berichten detailliert, berichtet über die angewandten  Operations- und Behandlungsmethoden, beschreibt die Ergebnisse sowie Erfahrungen  und betreibt Ursachenforschung.

Einen zwölfjährigen Patienten mit großem Defekt in der Wange zwischen Mundwinkel bis hinter dem letzten Backenzahn, resultierend aus einem Geschwür nach Pocken, versorgt er mit einer Plastik aus einem Lappen der Halshaut, schildert die Schwierigkeiten der Heilung und die Folgen der ungünstigen Narbenbildung.  Letztendlich befindet er, dass der Junge und die Eltern des Jungen zufriedener mit dem kosmetischen Resultat sind als der Arzt.

Er stellt fest, dass die Behandlung von torpiden Geschwüren mit Zinkleimverbänden im Sommer nicht umsetzbar ist, da die Masse sich durch die Hitze nicht festigt. Alternativ greift er auf Scharlachrot-Salbe nach Schmieden zurück und erwähnt die günstigen Behandlungserfolge.

Zur Desinfektion der Hände vor operativen Eingriffen benutzt er heißes Wasser und  Seife, Alkohol und Sublimat (Anmerkung: Quecksilber(II)-chlorid, antiseptische Wirkung). Die Verwendung von Gummihandschuhen erweist sich als schwierig, denn das Material leidet unter dem Klima und wird porös. In seinem Bericht für das Jahr 1909/1910 erwähnt Dr. Assmy, dass einige Gummihandschuhe eingelötet werden, um sie brauchbar für aseptische Bauchoperationen zu halten. Die chinesischen Assistenten,  deren Tätigkeit sich auf das Hakenhalten und Tupfen erstreckt, tragen bei operativen Eingriffen sterilisierte Zwirnhandschuhe.

Die schwierige Behandlungsbedingungen, die Eigenheit vieler Chinesen das Hospital bereits bei den ersten Anzeichen der Besserung zu verlassen ohne dass die Behandlung abgeschlossen ist und das vorzeitige Absetzen der Medikamente sowie auch das eine oder andere Probleme mit den Mitarbeitern hindern Dr. Paul Assmy nicht seine Arbeit in der Poliklinik fortzusetzen. Er ist sich bewusst, dass er mit den völlig unzureichenden Mittel arbeiten muss und das auch  seine Bemühungen den unhygienischen Lebensgewohnheiten der Chinesen entgegenzuwirken, oft scheitern.

Bei einigen Erkrankungen wie Syphilis und chronischen Ekzemen, die zuvor nicht abschließend behandelt werden können, da sich der chinesische Patient nach dem ersten Abklingen der äußeren Erscheinungen der Krankheit nicht mehr blicken lässt, nimmt Dr. Assmy von einigen Ausnahmen abgesehen bereits zu Beginn der ersten Behandlung eine Vorauszahlung von 2000 Käsch. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass der Patient zu den weiteren und notwendigen Behandlungen erscheint.

Zum April 1911 zieht die Poliklinik in ein Gebäude chinesischer Bauart, gelegen in der Hundert-Kinder-Gasse im Westen der Stadt Chungking. Diese räumliche Veränderung führt auch zu höheren Kosten im Personalbereich. Die neue Poliklinik bezieht ihr Wasser vom Fluss. Da der Fluss nun fast doppelt so weit von der Klinik liegt und zu dem mehr Räumlichkeiten vorhanden sind, wird ein zweiter Wasserträger angestellt. Auch ein zusätzlicher und damit dritter Wärter wird benötigt. Dr. Paul Assmy informiert das Auswärtige Amt, dass mit einer Anhebung der Personalkosten  zu rechnen sei, da die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren angestiegen sind und damit auch die Tagelöhne. Eine Lohnanpassung hält er für gerechtfertigt.

Er selbst wohnt jetzt nur eine Viertelstunde enfernt in einer Wohnung eines Hauses europäischer Bauart.

Am 18.05.1912 beschließt der Reichstag in seiner 65. Sitzung eine Position in Höhe von 58.000 Mark für die Ärzte an den Konsulaten und Gesandtschaften einschließlich eines Zuschusses für die Deutsche Poliklinik in Chungking. In der Begründung wird angeführt, dass es sich um ständige Einrichtungen bei den Gesandtschaften in Peking, Teheran und den Konsulaten in Chungking sowie Shanghai handelt. Die Arbeit in den deutschen Polikliniken in Peking und Chungking wird als segensreich bezeichnet.[4]

Von März 1912 bis Mitte Juli 1913 unterbricht Dr. Paul Assmy krankheitsbedingt seine Arbeit in der Poliklinik und reist nach Deutschland. Mit seinem Vertreter, dem deutschen Marinestabsarzt Dr. Kyritz veröffentlicht Dr. Paul Assmy eine Abhandlung über die Salvarsanbehandlung geschwüriger Prozesse, welche durch die Vincentsche Symbiose veranlasst sind. [5]

 

[4] (Quelle : Reichstagsprotokoll der 65. Sitzung vom 08.05.1912)

[5] (Arch. Schiffshyg. Leipzig 17 1913 (217-230 m. 2 Taf.). [9990]. 67043a)

 

Zwischen 1914 bis 1918 herrscht in Europa, Afrika, Ostasien, dem Nahen Osten und auf den Weltmeeren der Erste Weltkrieg. Im Mai 1916 treffen Frankreich und China ein Abkommen, nach dem chinesische Arbeiter nach Frankreich u.a. zum Einsatz in der Rüstungsindustrie, im Schiff-Straßen- und Eisenbahnbau gebracht werden sollen. Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und China brechen im März 1917 ab. Im August 1917 erklärt China Deutschland den Krieg, entsendet aber auch nach dieser Erklärung keine Truppen nach Europa, da es selbst mit den innerpolitischen Unruhen zu kämpfen hat.

Die englischen und französischen Konsulatsvertreter verlangen nach dem Abbruch der Beziehungen  von den chinesischen Behörden, die von der deutschen Regierung finanzierte Poliklinik zu schließen.  Ihren Unmut über die deutsche Klinik machen sie öffentlich.  Durch die jahrelange medizinische Versorgung der armen chinesischen Bevölkerung in der  Klinik, wollen die chinesischen Behörden der Aufforderung nicht nachkommen.  Um den Bestand der Klinik zu sichern, beschließt der Präsident des Roten Kreuzes, das in den letzten 3 Jahren die Klinik finanziell unterstützt hat, in Absprache mit Dr. Paul Assmy und Herrn Schuchardt, die Poliklinik in das Rote–Kreuz-Hospital Chungking umzutaufen. Nur kurz kehrt nach Entfernung der Namensschilder an den Gebäuden und Straßen Ruhe ein. Sanitäts-Vizefeldwebel Schuchardt berichtet aber, dass trotz der negativen Äußerungen der alliierten Konsuln das Krankenhaus steigende Behandlungszahlen verzeichnet. Schuchardt schreibt ebenfalls in seinem Bericht an das Auswärtige Amt, dass selbst nach der Kriegserklärung er und Dr. Assmy galant von den chinesischen Behörden behandelt werden. 4 Monate nach Abbruch der Beziehungen erhält die Poliklinik vom Präsidenten Li yüan hung eine Ehrentafel mit Widmung.

Das Gerücht,  deutsches Grundeigentum  beschlagnahmen zu wollen, führt zu einem Scheinverkauf der Klinik, die das  Rote-Kreuz als Eigentümer übernimmt.

Mit der Oktoberrevolution im Jahr 1917 kommt es zu Kämpfen zwischen dem Norden Chinas  und den Südchinesischen Truppen, vorausgegangen ist die Unabhängigkeitserklärung Südchinas von Peking. Das Chinesische Rote Kreuz beabsichtigt eine Abteilung unter Dr. Paul Assmy´s Führung nach Tünsehang zu schicken, da dort viele Verwundete unversorgt im Freien kampieren müssen. Der britische Konsul protestiert gegen die Entsendung von Dr. Assmy, der zu diesem Zeitpunkt noch ein deutscher Sanitätsoffizier ist. Der Präsident des Roten Kreuzes,  Herr Wei, steht jedoch trotz Drohungen des englischen Konsuls hinter den beiden deutschen Mitarbeitern.

Die Pläne nach Tünsehang zu reisen sind hinfällig, als die Südtruppen Chungking immer näher kommen.  Die Kämpfe an der gegenüberliegenden Flussseite Chungkings haben viele Verwundete zur Folge. Zwei Tempel werden zu Lazaretten umgenutzt. Der größere beherbergt  500 Verwundete. Der kleinere dient zur Versorgung der Leichtverwundeten,  auch  gibt es eine Sammelstelle für Gefangene.

Schuchardt erwähnt , dass in der Zeit von Oktober 1917 bis Februar 1918 nicht nur von morgens bis abends eine ungeheure Arbeit zu verrichten ist, sondern gleichzeitig die Alliierten vermehrt ihre Verärgerung über die Tätigkeit des Krankenhauses mit den deutschen Militärangehörigen deutlich machen.

Die anzuerkennende Leistung des Chinesischen Roten Kreuzes in dieser Zeit führt zu einem Aufgreifen frühere Pläne zum Bau eines neuen moderneren Krankenhauses. Der Rote- Kreuz-Verein erwirbt im Sommer 1918 ein Grundstück mit der Lage oberhalb der Stadt am Fluss Kialing (Jianling Jiamg). Der darauf befindliche Tempel wird abgerissen und im August 1918 ist Baubeginn. Das Hauptgebäude hat eine Länge von 50 m sowie 22 und 25 m Tiefe. Die Räumlichkeiten im  Kellergeschoss sollen für das Personal des Roten- Kreuzes und einen Lehr- und Unterhaltungssaal genutzt werden. Die Operations- und Untersuchungsräume, Apotheke, Wartezimmer, Assistentenzimmer sowie einige Krankenzimmer sind im Hochparterre geplant.  Der I. Stock wird für die Krankenräume I-II. Klasse und der 2. Stockwerk für die Depoträume vorgesehen. Vorläufig eingeplant sind 100 Betten, im äußersten Fall ist Platz für 200 Betten. Ein Arzthaus, Verwaltungshaus, Küchen – und Waschhaus und auch eine Leichenhalle sollen auf dem Grundstück ebenfalls  ihren Platz finden.

Im März 1919 ist das Hauptgebäude bis zum I.Stock errichtet, mit einer Fertigstellung des gesamten Gebäudes wird im Oktober 1919 gerechnet.

Die Lage des Krankenhauses außerhalb der Stadt führt zu der Überlegung in der früheren Wohnung von Dr. Assmy eine Untersuchungsstation und eine öffentliche Verkaufsstelle für Medizin etc., einzurichten.  Dr. Assmy ist wie bisher als Leiter der gesamten Einrichtung und Herr Schuchardt für die Verwaltung vorgesehen.

Bereits im Jahr 1918 teilt Dr. Assmy und Sanitäts-Vizefeldwebels Schuchardt dem Präsidenten des Roten-Kreuzes , Herrn Wei, mit, dass die finanzielle Unterstützung einschließlich der Gehälter der beiden durch das Auswärtige Amt ab April 1919 nicht mehr fortgeführt werden wird. Nach ersten Beratungen sind die chinesischen Stadtbehörden bereit einen jährlichen Zuschuss zum Betrieb der neuen Klinik beizusteuern. Der von Dr. Assmy und Sanitäts-Vizefeldwebels Schuchardt ausgearbeitete Voranschlag sieht aber Betriebsausgaben von 35.000 Dollar und Einnahmen von 12-15000 Dollar vor.

Das Gehalt von Dr. Assmy ist mit 400 Dollar monatlich und für Sanitäts-Vizefeldwebels Schuchardt mit 300 Dollar monatlich angesetzt. Schuchardt erwähnt, dass Dr. Assmy auf ein höheres Gehalt vorläufig verzichten wolle. Zusätzlich soll freie Unterkunft, Licht, Heizung, Pferde- und Sänftengelder gewährt werden. Herr Wei versichert beiden, dass die Bemühungen, das Unternehmen finanziell  umsetzen zu können, fortgeführt werden.

Am 5. März 1919 muss Schuchardt wie viele Deutsche nach einer Ausweisung durch die chinesischen Behörden zurück nach Deutschland.

Am 20.06.1919 bittet Dr. Assmy um die Verabschiedung als Sanitätsoffizier und hofft einer drohenden Heimbeförderung zu entgehen. Am 24.08.1919 kommt man diesem Wunsch nach und entlässt Dr. Assmy mit einer Pension. In seinem Schreiben vom 17.01.1920 an den Chef des Sanitätskorps würdigt Herr von Scharfenberg (möglicherweise der Diplomat Dietrich von Scharfenberg/Berlin) die Leistungen von Dr. Assmy und schlägt ihn zur Beförderung zum Generaloberarzt vor. Der Vorschlag wird jedoch nicht umgesetzt.

 


 

 

 

 

 

 

 Übersetzung:

Im Achten Jahr der chinesischen Republik (1919) im Juni 14 (fand) in Chungking eine Versammlung des Roten Kreuzes zur Verabschiedung des Medizinalleiters Dr. Assmy (statt). Zusammen mit den ehrenwerten Herren Yin-Min-San und Chang-Mon-Ru.

Er (Dr.Assmy) hat bis zum Schluss die Armee /das Militär medizinisch betreut.

 

Der Name Assmy ist mit den chinesischen Silben „Ah-Si-Mi“ dargestellt, wobei Ah für Lautmalerei, Si= Gedanke, Idee und Mi=geheim, dicht vertraut, still, bedeuten.

 

Eine Ausweisung von Dr. Paul Assmy aus Chungking erfolgt dennoch im Juni 1919 und er reist nach Hankau ab. Die Poliklinik hat er zuvor aufgelöst und die Instrumente an das Chinesische Rote Kreuz veräußert.

In Hankau angekommen teilen ihm die Beamten mit, dass kein Dampfer zum Transport zur Verfügung steht und er bleiben soll. Dr. Paul Assmy hat Glück und durch die Einkehr des Friedens ist nicht nur sein Verbleib in China  gesichert sondern auch eine Neueröffnung des Hospitals in Chungking.

Am 17.11.1919 reist Dr. Assmy von Hankau nach Shanghai um Inventar für sich und das Hospital des Roten Kreuzes zu besorgen.  Wenige Tage später soll er die Rückreise nach Chungking über Hankau antreten.  Vorgesehen ist, dass das Rote Kreuz in Chungking Dr. Assmy zum Gehalt von 300 Dollar mit Privatpraxis anstellt. Zunächst soll er sich mit der Einrichtung der neuen Poliklinik beschäftigen und nebenbei die Patienten in einer Praxis in seiner alten Wohnung  behandeln. Das hierdurch erzielte Eintrittsgeld  der Patienten wird das Rote Kreuz erhalten, die Einnahmen aus besonderen Behandlungen wie Salvarsaneinspritzungen etc. stehen Dr. Assmy zu. Der zeitgleiche Betrieb einer Poliklinik in der Stadt kann finanziell nicht umgesetzt werden.

 

Die neue Klinik ab 1919/1920 nach den Erinnerungen von Elisabeth Kronschnabl


 

Elisabeth erinnert sich an einen Gebäudekomplex bestehend aus 3 Gebäuden, die rechtwinklig um einen Binnenhof zueinander standen. Eine Mauer mit großem Tor und ein Wächterhaus bilden die Abgrenzung zur Straße. Die kleine Tür im Tor dient als Zugang. Gegenüber dem Tor war das Hauptgebäude mit mehreren Stockwerken. Dort befinden sich die Zimmer für stationär aufgenommene Patienten. Die Privatwohnung von Dr. Assmy und seiner Familie liegt im obersten Geschoss. Die Wohnung ist durch eine Treppe im hinteren Gebäudeteil zu erreichen. Rechts und links vom Hauptgebäude befinden sich die niedrigeren Gebäude. In dem einen liegen die Labor- und Operationsräume. In der Privatwohnung sowie in den Labor- und Operationsräumen befindet sich elektrisches Licht. Alle weiteren Gebäudeteile werden mit Öllampen beleuchtet. Sobald das elektrische Licht in der Wohnung schwächer wird, bitten die Kinder: „ Papa muss Licht machen“. Dr. Paul Assmy geht in die Kellerräume und kurz drauf leuchtete das Licht wieder kraftvoller.  

Elisabeth ist damals fasziniert von der Wasserfilteranlage, die sich zwischen dem Hauptgebäude und den Labor- und Operationsräumen befinden.  Die Filteranlage besteht aus mehreren übereinandergestellten Gefäßen, vermutlich aus Ton, gefüllt mit Kieselsteinen und Sand. In den obersten Krug füllen die Wasserkulis das lehmige Wasser aus dem Yangtse. Das Wasser haben sie zuvor mit Eimern, die an Bambusstanden über der Schulter getragen werden, vom Fluss zum Krankenhaus transportiert. Das Wasser fließt vom obersten Krug bis nach unten, wo es klar herauskommt.

Die Labor- und Operationsräume zu betreten ist den Kindern verboten. Angezogen von den vielen glitzernden und zugedeckten Gegenständen, schlüpft Elisabeth eines Tages doch durch eine offene Tür. Ihr Vater entdeckt sie und erklärte ihr, dass sie die nichts anfassen dürfe, da ihre Hände schmutzig seien. Empört zeigt Elisabeth ihrem Vater die Hände und erklärt ihm, sie habe die Hände gewaschen. Dr. Paul Assmy nimmt eine Probe von ihren Handflächen und zeigt ihr am Mikroskop die Keime, die sich zuvor noch an ihren Händen befunden haben. Von da an geht Elisabeth nur noch mit auf den Rücken verschlungenen Händen durch das Krankenhaus.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Elisabeth später Medizin studiert und  als Ärztin gemeinsam mit ihren Ehemann Heinz Kronschnabl, ebenfalls Arzt, in der Zeit von 1954 bis 1958 und 1960- 1965 im St. Lukes Hospital in Shrirampur /Indien tätig ist.

  

 

Dr. Paul Assmy ist Präsident des Chinesischen Roten Kreuzes in der Region Szechuan. Später trennen sich die Wege von Dr. Paul Assmy und dem Chinesischen Roten Kreuzes. 1931 berichtet der Konsul des Deutschen Konsulates in Chungking, Herr Traut, dass das Chinesische Rote Kreuz Dr. Paul Assmy erneut die Leitung angeboten hat. Dr. Paul Assmy lehnt aus Altersgründen und den früher gemachten schlechten Erfahrungen ab. Er betreibt bis zu seinem Tod eine Privatpraxis in Chungking. 


 

 

Zusammenfluss von Kialing und Yangtse bei extremem Tiefstand.

An der Spitze (Baumgruppe) stand das neue Krankenhaus, das später durch das Bombardement der Japaner zerstört wurde.

(Aufnahme Elisabeth Kronschnabl im Jahr 1991)

 

 

 

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